Am Ende doch Fußball

Bevor das Festival heute Abend mit einem Kurzfilm Abend zu Ende geht resümieren wir unsere Eindrücke von der 14. Ausgaben von 11mm.

Beim 11mm Filmfestival gibt es viele Perspektiven auf sehr unterschiedlichen Fußball zu sehen. Von Filmen, in denen kein einziger Ball zu sehen ist bis zu solchen, die ausschließlich Geschehen auf dem Feld zeigen; von Portraits zu Mannschaften am unteren Ende der Ligapyramide, die auf 'Asche' spielen zu solchen der besten der Geschichte in den größten Stadien; von Filmen, die von den schweren, alltäglichen Problemen erzählen, die Kinder mit migrantischem Hintergrund in Brüssel haben bis zu Werbe- und Propagandaproduktionen des modernen Fußballs.

Trotz dieser disparaten Zugänge zu Themen auf allen Seiten des Balles, und auch wenn in vielen der Filme, die in den letzten Tagen im Babylon Kino zu sehen waren, auch und vor allem Geschichten über etwas anderes als Fußball erzählt werden - was Menschen in allen Kontexten bewegen kann ist am Ende doch Fußball.

Fußball ist irgendwie wichtig

Wie L'Etranger (mehr dazu später) ist auch Refugee 11 nicht nur ein Portrait eines sehr begrüßenswerten Unterfangens - dem Versuch einer Sozialarbeiterin, eines Fußballvereins und einer Gruppe von Geflüchteten eine Mannschaft zu formen, die deutsche Gesellschaft und Neuankömmlinge miteinander integriert. Es ist auch ein gelungener Film, der seinen Subjekten nah genug kommt, ihr Handeln mit der Kamera (augenscheinlich) nicht zu verfälschen.

XI

Die Mannschaft, im Vordergrund Abu, dessen Trauma und Suche nach einer annehmbaren Bleibe der Film zeigt. Er läuft am 18. Mai im WDR. Photo mit freundlicher Genehmigung von Stefanie Fiebrig

Der Film zeigt die Beweggründe und das Erlebte der Spieler, ohne es in einer Form nachzuerzählen, die allzu leicht ins pathetische und zweifelhaftes generalisieren kippen (auch dazu später mehr). In Abus Panik vor ungeordneten Verhältnissen, seinem starken Drang dazu, seine Umgebung sauber zu halten wird ein Trauma angedeutet, das später in einem der Monologe in die Kamera und einer Szene, in der er sich trotz psychischer Probleme und einer (wie sich zeigt, langwierigen) Verletzung zum Training schleppt.

In dieser Szene zeigt sich auch, dass Fußball wichtig für diese Menschen ist. Weil das auch daran liegt, dass das Leben in Deutschland einigen von ihnen nicht viele andere echte soziale Interaktion bietet, ist diese Einsicht die Quelle nicht nur von Respekt für diejenigen, die das Projekt tragen, sondern auch einer gewissen Traurigkeit.

Denald

Denald, der impulsive albanische Offensivspieler der Mannschaft, der am Tag nach der Vorstellung zurück nach Albanien fuhr, in der Hoffnung, avec-papiers zurück kommen zu können. Photo mit freundlicher Genehmigung von Stefanie Fiebrig

Die Probleme, die Fußball für die Spieler der Vierten des SC Germania Erftstadt-Lechenich für eine Weile beiseite schiebt, sind so privat wie politisch. Bürgerkrieg, zerfallende staatliche Strukturen und ökonomische Perspektivlosigkeit sind öffentlich verhandelbare Desaster, deren konkrete Folgen in einem Film wie diesem greifbar werden, in den Schicksalen, die er zeigt - die jener, die einen mörderischen Weg anders als viele Tausende anderer überlebt haben. Aus diesen Tragödien im Leben und im Film ein optimistisches Projekt gemacht zu haben ist das Verdienst der Realitäts- und Filmschaffenden.

Ausrutscher

In einem ansonsten spektakulär schlechten und abstrus-unfreiwilligem Film wie Barça Dreams sind es Szenen des Kombinationsspiels zwischen Busquets, Xavi, Iniesta und Messi die Publikum zu fasziniertem Seufzen bewegt. Die Reaktionen, die dieser Film mit dem, was er um die Spielszenen herum zeigt, hervorruft sind amüsiertes Kopfschütteln und fassungsloses Gelächter etwa über die Montagen eines Vulkanausbruchs, hin- und hergeschnitten mit den Bengalos von Problemfans in den 90ern, oder, sagen wir, nicht besonders subtile Karikaturen von José Mourinho und Mino Raiola in gescheiterten Vertragsverhandlungen.

Problematischer als die handwerklichen Schwächen dieser FC Barcelona Eigenproduktion sind dabei die Weise, in der die Abgründe des modernen Profifußballs nicht nur nicht gezeigt, sondern auch verherrlicht werden. Bestes Beispiel hierfür sind die globalen Talentrekrutierungsmaßnahmen des Vereins, die anders als im Film dargestellt nicht nur dazu dienen, die wunderschöne Spielidee des Weltvereins aus Katalonien noch mehr jungen Fußballerinnen nahe zu bringen, sondern auch Prozesse anstoßen, die nicht nur solche 13-jährigen, aus denen die besten Spieler aller Zeiten werden, durch die halbe Welt verfrachtet.

In einem voice-over, das demonstriert, warum die Begriffe pathein, Pathos und pathetic doch etwas miteinander zu tun haben, ist für die Korrektur der survivor bias selbstredend kein Platz.

Seguís berühmtestes Photo von Cruyff ist das imposanteste Bild der Lichtgestalt überhaupt, es zeigt ein legendäres, mit der Hacke in phänomenaler Höhe erzieltes Tor gegen Atletico Madrid. Um es im Internet zu finden suche man nach 'Cruyff Impossible Goal'

Eine etwas gelungenere Variante eines ähnlichen Films, allerdings beschränkt auf Johan Cruyff, ist En un momento dado, eine etwas hagiographische Dokumentation von Cruyffs Schaffen von 2004, die im Vergleich davon profitiert, immerhin mit echten Menschen - unter anderen Emilio Butragueno und Cruyff selbst - gestellte Gespräche zu führen. Sehenswert ist der Kurzfilm Horacio & Johan, der aus Photographien des langjährigen Hausphotographen des FC Barcelona, Horacio Seguí, besteht. Das Voice-over dazu, das sich zu dem Epithet 'humble' für Cruyff versteigt, muss man für einige schöne Aufnahmen tolerieren.

Düü-düü-düdü-düüü...

Eine kritische Perspektive vermisst der (nicht in eine bestimmte Richtung) geneigte Zuschauer auch in Das ist unser Leben, einer Dokumentation der letztjährigen Aufstiegssaison der SG Dynamo Dresden, in der Uwe Neuhaus und seine Hunde, Sportdirektor Ralf Minge, einige Spieler - aber nicht der Favorit dieser Seiten, Niklas Hauptmann - und Ultra-Vorsinger 'Lehmi' als Protagonisten zu sehen sind.

Erinnerungswürdig in einem anderweitig recht konventionellen Film des Genres Sommermärchen von Steffen Kuttner sind zum einen die Darstellung des immensen [spektakulär und grandios fehlgeleitetem] Aufwandes, mit dem einige Fanatiker des Vereins eine Fahne nähten, bemalten, falteten, in langen Menschenketten umher trugen und letztlich drapierten, die beim Spiel gegen Magdeburg fast alle Ränge des Stadions bedeckte.

Dresdenfahne

Eine Hälfte der Fahne der Dresdner Ultras. Photo: © Thomas Eisenhuth/Bongarts/GettyImages

Dass es, trotz des imposanten Ergebnisses, nicht nur kurios verrückt, sondern auch schuldhaft fehlgeleitet erscheint, jahrelange Arbeit in diese Choreographie zu investieren, liegt auch und vor allem daran, dass es nun mal um Dresden geht und um ein Stadion, in dem einen Teil der Fläche, den die gut 400 Meter lange Stoffbahn überdeckt, seit Jahren regelmäßig ein 'Lügenpresse' Banner einnimmt.

Zum anderen eine Szene, in der vor dem letzten Heimspiel der Saison Innenverteidiger und Kapitän Michael Hefele in Lederhosen und 'Aufsteiger' T-Shirt am Herd steht, mit dem Nudeltopf als Pokalattrappe für die Aufstiegsfeier probt und schließlich, beim Gedanken an seinen bevorstehenden Wechsel zu Huddersfield Town AFC, zu weinen beginnt: "Eigentlich will ich gar nicht fahren." Wie Hefele, aktuell mit Huddersfield und David Wagner auf Kurs in die play-offs zum Aufstieg in die Premier League, das mittlerweile sieht, ist nicht überliefert.

Auch in diesem Film gibt es mindestens eine Fußball-Fußballszene, die auf der großen (wenn auch, da der Film in einem der kleinen Säle lief, nicht der ganz großen) Leinwand den Kontext des Begleitfilms transzendiert: als es Dynamo in vielen Versuchen im Strafraum und im Fünfmeterraum nicht gelingt, den Ball zur Besiegelung des Aufstiegs im Tor unterzubringen.

Im Allgemeinen ist die Kinoleinwand ein exzellentes Medium, um Fußball zu schauen. Dass ausgerechnet der Versuch, das zum Merseyside Derby zu tun, an der Technik von Datzn scheiterte, ist ärgerlich.

600km. Jede Woche.

Eine Kontrastfolie zu Dresden in Bezug darauf, wie prominent die Rolle sozialer Verantwortung in einem Fußballverein sein kann, liefert der Brüsseler Verein BX, den Vincent Kompany in den Teilen von Brüssel, in denen er aufwuchs und in denen jedes Dritte Kind unterhalb der Armutsgrenze lebt, mit angestoßen hat um, wie Regisseur Michiels sagt, "Kindern in diesen schwierigen Vierteln Chancen zu geben." Der Verein ist die Plattform der Protagonisten des Films L'Etranger: Moussa Cissokho, der mit seiner Frau Barbara aus dem Senegal in ihre belgische Heimat gezogen ist, und seine U14, die er bei BX trainiert.

Kenneth Moussa

Kenneth und Moussa, Regisseur und Protagonist von L'Etranger. Photo mit freundlicher Genehmigung von Stefanie Fiebrig

Er tut das, obwohl er in Brugge, 100km von Brüssel entfernt, lebt, also für Trainings und Spiele jede Woche 600km zurücklegt. Die Leidenschaft, die daraus spricht, ist auch seinem Umgang mit den Spielern in jedem Moment des Films von Kenneth Michiels anzumerken. Der Regisseur, der Moussa zu BX gebracht hat, beschreibt das Ziel des Vereins als den Versuch, "die Spieler nicht nur als Fußballer, sondern für ihre Zukunft insgesamt zu stärken. Dazu konzentrieren sie sich auf Teamgeist und Respekt füreinander, aber auch auf etwaige Probleme in ihren Familien und der Schule oder Geldsorgen." L'Etranger zeigt, wie Cissokho sich darum bemüht, gemeinsame Erlebnisse mit seinen Spielern zu finden und so sie in die Mannschaft und sich in eine neue Umwelt zu integrieren. Geschichten wie die eines der Jungen, der von einer Gang gewaltsam erpresst wird, sich ihr anzuschließen, und, wie der Abspann berichtet, nach Ende des Films "die Schule verließ und zurück nach Ecuador geht" werden eindringlich in Gesprächen und dem Spiegel der Spiele, die für die Mannschaft sportlich immer besser ausgehen, erzählt.

Film des Festivals

Kein Film. Sondern die Lesung von Mirco aus seinem Blog Wochenendrebell, in dem er von einer Groundhopping Tour mit seinem autistischen Sohn berichtet. Schöne, gute Text über ein wunderbares Projekt.

Wochenendrebell

Den Blog Wochenendrebell gibt es seit einem Jahr auch als Podcast. Photo mit freundlicher Genehmigung von Stefanie Fiebrig