Riskante Ruhe

Union gewinnt einmal mehr ein Heimspiel gegen St. Pauli auf dramatische Weise, nachdem der Plan der Hamburger gut funktioniert.

Union-StPauli

Spieltag 13, 04. November: 1. FC Union 1 - 0 FC St. Pauli. Die Aufstellungen zu Beginn.

Warum hat Felix Kroos keinen Pass nach vorn gespielt?

Na gut, fast keinen. Und auch seitwärts gespielte Pässe können offensiv produktiv sein, wenn sie den Ball an Positionen bringen, von denen es nach vorn weiter geht - von diesen Pässen hat Kroos einige gespielt, insbesondere in der Aufbaudreierkette mit Torrejón und Leistner. Und als letztes Zugeständnis muss gesagt werden, dass Kroos eben auch einmal mehr der tiefere Aufbauspieler im zentralen Mittelfeld und so eine Station weiter hinten als Prömel eingebunden war, es also nicht immer seine Aufgabe war, Pässe ins offensive Mittelfeld zu spielen.

Pässe FCU

Die Passgraphik von 11tegen11 für Union, an der die fehlenden Links zwischen defensivem und offensivem Mittelfeld auffallen.

Aber hin und wieder darf das schon vorkommen, und in der Tat fiel es Unions Kapitän schwer, Pässe in die vorderen Mannschaftsteile zu spielen (siehe Graphik). Und das war nicht Kroos persönliches Problem, sondern die wesentliche offensive Schwierigkeit für Union insgesamt.

In der Spiel-Vorschau am Morgen im Textilvergehen hatte ich als eine oder die zentrale Frage des Spiels benannt, wie Union die freien Räume neben St. Paulis alleinigem defensiven Mittelfeldspieler im 4141 System der Gäste nutzen (wollen) würde. Das Spiel wies die in dieser Frage enthaltene Hypothese insofern zurück, als St. Pauli sein System gegen Union deutlicher weiter zurückgezogen als zum Beispiel gegen Sandhausen oder zu Saisonbeginn gegen Dresden interpretierte. Statt mit den vier vorderen Spielern im Mittelfeld aggressiv den Zehnerraum und die offensiven Halbräume zu besetzen, traten die Hamburger Union mit einem tiefen Mittelfeldpressing entgegen, das häufig (und gerade in der zweiten Halbzeit) erst einige Meter jenseits der Mittellinie griff.

So überließ St. Pauli Union relativ große Teile des Spielfeldes, die damit gleichzeitig zum Ziel für Konter wurden (dazu gleich mehr), verhinderte aber Ballkontakte für Hartel, Gogia und Hedlund in den gefährlichsten Zonen (vor dem Strafraum) aus denen die größten Chancen vorbereitet werden. Dazu verfolgte Nehrig Hartel mannorientiert, wenn sich Unions Zehner weiter hinten Bälle abholen wollte. Vor ihm versperrten Litka, Buchtmann und Sobota das Zentrum und Anspiele auf Unions Außenstürmer, während Møller Dæhli etwas hinter Allagui hängend die ballführenden Unioner anlief. Zu Aktionen in St. Paulis Zwischenlinienraum kam Union in der Folge vor allem mit Dribblings durch die Linien oder nach Ballgewinnen im Pressing und Gegenpressing, wie etwa nach 9 Minuten, als Hedlunds Pass zurück auf Polter nicht ankam. Der Plan B, Polter direkt lang anzuspielen, scheiterte dagegen immer wieder an Lasse Sobiech und Christopher Avevor.

Der Ansatz der Gäste kontrastierte deutlich zu Unions Pressing, dass meistens (wenn sich Nehrig im Aufbau fallen ließ) in 433-Staffelungen im Angriff begann. Und Das Spiel bot so schönes Anschauungsmaterial dafür, dass die Intensität von Pressing unabhängig davon, wo auf dem Feld der Druck ausgeübt wird, hoch sein kann.

Pässe

Passgraphik für St. Pauli, die das im Durchschnitt geclusterte Mittelfeld und hohe Außenverteidiger zeigt. Die Graphiken stammen von 11tegen11 (Twitter | Blog), eine einfache Erklärung habe ich hier aufgeschrieben.

Welche Position haben Møller Dæhli, Sobota und Buchtmann gespielt?

Soweit zu den defensiven Aufgaben von St. Paulis Mittelfeldspielern. Beim Blick auf die Durchschnittspositionen ihrer Ballaktionen in der Graphik fällt aber vor allem auf, dass alle drei an der gleichen Stelle gestanden oder gelaufen zu sein scheinen und nur Litka den rechten Flügel. Zwar spielte Møller Dæhli nominell links im Mittelfeld, während Sobota und Buchtmann sich das Zentrum aufteilten, aber der Norweger bewegte sich mit dem Ball immer wieder in die Mitte und besetzte sogar hin und wieder die rechte Seite des Sechserraums.

Mit dem Ball tendierten außerdem alle drei nach links vorn. Diese Seite zog St. Pauli bei seinen Kontern vor, wohl auch, weil Christopher Trimmel etwas weniger spritzig und im Zweikampf anfälliger für schnelle Aktionen schien als Pedersen auf der Gegenseite.

Dass diese Rochaden mit wenig Reibungsverlust funktionieren liegt auch daran, dass alle drei ähnliche Spielertypen mit überlappenden Stärken sind.

Warum hatte St. Pauli so viele so gute Chancen?

Schon gegen Ende der ersten Halbzeit kam St. Pauli mehrfach dazu, nach Ballgewinnen im Mittelfeld, für die verschieden viel Aufwand nötig war, gefährliche Bälle in die Spitze zu spielen, aus denen aber aus verschiedenen unglücklichen Umständen keine Chancen wurden.

Das änderte sich nach etwa einer Stunde, als Allagui zuerst an Busk, dann an der Latte scheiterte. Die Gründe für Unions defensive Anfälligkeit lagen aber vor allem in den bereits beschriebenen, gut funktionierenden Defensivordnung St. Paulis. Denn die zwang Union, sein Aufbauspiel weit nach vorn zu verlagern und dabei außerdem recht große Risiken einzugehen. Obwohl Union mit dem ihm aufgezwungenen ruhigerem Ballbesitzspiel nicht unbedingt schlecht umging, erspielte es sich doch wenige Chancen. Zusammen mit dem Anspruch, das Spiel zu gewinnen, verstärkte das diese Dynamik mit zunehmender Spieldauer (bis bei St. Pauli Kräfte und die Bereitschaft, diese in Konter zu investieren, nachließ und vor der Schlussphase, in der die Ordnung des Spiels der Entropie anheim fiel).

Szene des Spiels

Trotz der Probleme Unions, die eigene Offensive zwischen St. Paulis Linien einzusetzen, hatten sowohl Hedlund als auch Gogia sehr sehenswerte Flicks in diesen Räumen. Doch keine dieser Aktionen war ganz - oder annährend? - so gut wie Mats Møller Dæhlis Hacken-Vorvorlage für eine sehr gute Chance von Bouhaddouz, die Pedersen mit einem Tackling beim Schuss blockte (76:15).

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