Ein unerwartetes Spiel mit unerwartbaren Toren

Stpauli-Union

Die Aufstellungen zu Beginn: Mané gibt sein Debut für Union

Union verliert nach dem spektakulären Sieg gegen Köln (Analyse drüben bei Spielverlagerung) im nächsten Spitzenspiel hochdramatisch in lezter Minute nach gelungener Aufholjagd mit 3-2 bei St. Pauli. Das liegt auch daran, dass sich St. Pauli nicht schön, aber auch nicht ineffektiv, auf Union einstellt.

Vor der Partie hatte ich in der Vorschau im Spiel-Plan auf Textilvergehen darüber geschrieben, dass St. Pauli in den letzten Spielen oft zwischen Verteidigungs- und Ballbesitzphasen seine Formation verschoben hat, indem Marvin Knoll sich aus dem defensiven Mittelfeld in die erste Aufbaureihe fallen ließ, während gleichzeitig die Außenverteidiger ins nächsthöhere Band aufrückten. In diesem Moment, vermutete ich, könnte es Potential für Unions Konterspiel geben.

St. Paulis Plan in Wirklichkeit

Diese Dynamik spielte am Montag dann genau keine Rolle. Warum nicht, lässt sich an zwei Statistiken aus dem Spiel ablesen: St. Pauli produzierte 62 'Clearances' (Befreiungsschläge im weitesten Sinn), verglichen mit 10 solcher Aktionen von Union. Und beide Mannschaften spielten quasi gleich viele lange Bälle, 77 bzw 78. Aber dazu kamen bei Union 422 kurze Pässe, bei St. Pauli nur 255, Das deutet daraufhin, dass St. Pauli erstens) am eigenen Spielaufbau relativ geringes Interesse hatte, dafür aber zweitens) umso mehr darauf bedacht war, Union eben keine Chancen zu effektivem Umschaltspiel zu geben. Vielleicht dachte sich Markus Kauczinski ja sogar ähnliches wie ich, und unternahm dann etwas, um dieses Szenario zu verhindern.

"Das eigene Spiel lässt sich recht einfach beschreiben. Lange Bälle, zweite Bälle. Das war es."

Tim vom MillernTon über St. Paulis Konzept

Diese Ausrichtung war der eine Grund, aus dem das Spiel vor allem in der ersten Halbzeit einen extrem unruhigen, um nicht zu sagen gar keinen, Rhythmus hatte.

Union am Ball

Die andere war, was Union mit dem Ball anfing. Während das eigene Aufbauspiel wechselhaft manchmal recht pressingresistent, manchmal etwas panikgetrieben war, konnte Union vor allem mit St. Paulis langen Bällen nicht ruhig umgehen.

Beispielgebend ist hier die Entstehung des 1-0: Union kommt nach Himmelmanns Abschlag dreimal an den Ball, kontrolliert diesen aber nie, bis Allagui schließlich den vierten Ball relativ unwiderstehlich in den Winkel schießt. Auf ähnliche Weise entstanden viele kleine ping-pong Einlagen mit hohen Klärungsaktionen und Kopfballwechseln, die Union nach dem Rückstand Zeit und mögliche Angriffe kosteten (dass Union sich am Ende weniger Zeit gewünscht hätte, war da ja noch nicht abzusehen).

Auf dieses Problem reagierte Urs Fischer in der zweiten Halbzeit indem Union Angriffe etwas geduldiger ausspielte. Damit kam man aber erst in einer frenetischen Schlussphase, als die frischen Gogia und Taz individuell durchschlagskräftige Aktionen hatten, zu klaren Chancen. In dieser Phase setzte Union außerdem mit einem 3232 (?) System eine Art taktische Brechstange an.

lenz

Ob Christopher Lenz auf Grund seiner eigenen Qualitäten oder wegen St. Paulis Pressingplan stärker in Unions Aufbau eingebunden war als Julian Ryerson ist nicht vollständig geklärt. Photo: Martin Rose / Bongarts / Getty

Wenn Unions Aufbauspiel funktionierte, lag das zumeist daran, dass sich Manuel Schmiedebach in Räume fallen ließ, die von Allagui und Meier im Pressing nicht abgedeckt wurden, und den Ball ins Mittelfeld spielte. Dort bot sich gerade Hartel einige Male gut im Halbraum an, um sich dann aufzudrehen. Dass er dort gesucht wurde, und das Lenz etwas mehr Sicherheit und vielleicht auch Qualität am Ball hat als aktuell der viel seltener eingesetzte Ryerson, trug zu Unions Fokus auf die eigene linke Seite bei. St. Pauli-Beobachter Tim erkannte darin in seiner eingangs schon zitierten Analyse auch eine Pressingfalle der Braun-Weiß-Roten mit dem entsprechend leitenden Pressing, die es auch in den vorigen Partien St. Paulis schon gegeben habe. Das kann stimmen - ich habe dieses Muster in diesem Spiel nicht gesehen.

Flügel und Dribbler

Ein anderer Punkt in meiner Vorschau war, dass St. Paulis offensive Flügelspieler sich gern ins Zentrum bewegen und so schwierige Situationen für die Außenverteidiger kreieren, die sie unter Umständen an andere Spieler übergeben müssen. Immerhin dieses Muster war zu sehen, insbesondere mit Møller Dæhli.

møller dæhli

Von wo Mats Møller Dæhli Pässe gespielt hat; Screenshot: Whoscored

Eine Graphik mit den Pässen, die Møller Dæhli spielte, schreit nicht gerade 'rechter Mittelfeldspieler'. Aber das war schon die Position, die der Norweger in der Grundformation von St. Pauli einnahm. Nur dass er dort kaum einmal den Ball bekam, weil St. Pauli entweder sofort lange Bälle schlug, oder es nicht schaffte, an Unions Pressing vorbeizuspielen. So kam Møller Dæhli vor allem an den Ball, wenn er ins Zentrum rückend Ablagen von Alex Meier aufsammeln konnte, oder wenn er das outlet für Konter war. Gerade in diesen Momenten postierte er sich auch oft auf dem linken Flügel, gemeinsam oder im Tausch mit Sobota. Im Lauf der erste Hälfte behielten die beiden diesen Tausch dann auch bei, doch auch Sobota wurde auf dem rechten Flügel kaum eingebunden. Vielleicht wollte man damit Julian Ryerson als vermeintlichen Schwachpunkt gesondert attackieren.

Den Dribbelfokus, den ich St. Pauli mit Blick auf Miyaichi und Sobota unterstellte, lebte dagegen eher Union aus. Sagenhafte 29 Versuche verzeichnet Whoscored für Rot-Weiß in diesem Spiel. Wozu man aber ergänzen muss, dass diese Statistik oft eigenwillig geführt wird und mit Vorsicht zu genießen ist. Ihr zu Folge kam St. Pauli auf 17 Versuche, und hatten beide Mannschaften mit ~50% eine ordentliche Erfolgsquote.

Am häufigsten ging dabei Hartel (sieben) ins Dribbling, dicht gefolgt von Gogia, obwohl der nur 20 Minuten Zeit hatte, auf fünf Versuche zu kommen. Am auffälligsten waren aber die Dribblings von Unions Neuzugang Carlos Mané. Das liegt einerseits daran, dass man seinen Stil noch nicht gewöhnt ist und er sowieso als spektakulärer Transfer viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Aber es hat auch etwas mit der spezifischen Art zu tun, mit der Mané in seine Dribblings geht: er beginnt diese oft nach einem Moment des Verzögerns, oder baut diesen Moment in Dribblings ein. Das hat verschiedene Funktionen: es kann den Effekt des Geschwindigkeitswechsels erhöhen, den Gegenspieler zuerst mit abstoppen zu lassen. Es kann den Raum vergrößern, der hinter dem potentiell geschlagenen Gegner liegt. Und es kann zu mehr Fouls führen. Um noch eine Prognose zu wagen: diese Aktionen werden noch effizient sein.

Szene des Spiels

Die wundervolle Annahme eines langen Balls von Andersson bei Minute 20:54 und viel von dem fantaztischen, das Berkan Taz nach seiner Einwechslung gemacht hat.

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